Google Glass: Eine Marketingrevolution?

03.07.2014 von Jens Martin Baumgartner

google glassIm vierten Quartal 2014 soll es so weit sein – Google Glass kommt nach Europa1. Bisher ist die Datenbrille des Suchmaschinen-Giganten lediglich als Open-Beta-Version in den USA erhältlich – für rund 1.500 US-Dollar. Online-Marketer und SEOs müssen sich voraussichtlich auf tiefgreifende Veränderungen einstellen, denn allein in Deutschland haben laut einer Bitkom-Umfrage2 22 Millionen Menschen Interesse an „Smartglasses“.

Einige Überlegungen zu den Auswirkungen von Google Glass auf Markt und Marketing haben wir an dieser Stelle zusammengefasst:

Internet der Dinge

Mit Google Glass wird das „Internet der Dinge“ realisiert. Bedeutet: Der Computer unterstützt im (oder auch beim) Alltag und die Grenze zwischen virtueller und tatsächlicher Realität verschwimmt immer weiter, indem Geräte wie eben Google Glass nicht mehr die Aufmerksamkeit des Menschen erfordern, sondern der Aufmerksamkeit und den Präferenzen des Menschen folgen.

Ubiquitous Computing mit Google Glass

Durch die stetige Verfügbarkeit der Zusatzdienste, die Google Glass bieten soll, wird Werbung per Google Glass natürlich insbesondere für Unternehmen interessant, die auf regionaler Ebene auf Kundenfang gehen wollen; dank Anbindung an Google Local und Google Maps, die zu den Kernfunktionen des Geräts gehören, wären etwa Restaurantbetreiber, die in einem bestimmten Radius um eine Sehenswürdigkeit gezielt um Besucher werben (durch Anzeigen oder Content-Marketing), deutlich im Vorteil solchen gegenüber, die auf einen Auftritt verzichten. Die Anbindung an Google Local und Google Maps wird da ihr Übriges tun.

Google+ auf der Überholspur?

Bislang ist es Google trotz diverser Bemühungen nicht gelungen mit der hauseigenen Social-Media-Plattform dem Marktführer Facebook Paroli zu bieten. Allein in Deutschland nutzen derzeit 47 % der Menschen Facebook, Google+ dagegen „bloß“ 12 %3. Die enge Verknüpfung der Smart-Brille mit Google+ wird die Karten neu mischen:

Google-Glass-Nutzer, die mit ihren Freunden Bilder und Videos teilen oder diese an aktuellen Geschehen teilhaben lassen möchten, werden um ein Profil in Googles Social Media Network nicht herumkommen – selbiges gilt für die Freunde des Nutzers. Es ist sicher nicht damit zu rechnen, dass Google sich die Gelegenheit zum Push ihres sozialen Netzwerks entgehen lassen wird. Google wird im Zuge dessen nicht nur Google-Glass-Nutzer selbst, sondern auch deren Freunde zu Google+ lotsen. Damit werden nicht nur die Nutzerzahlen steigen und in diesem Zusammenhang auch die täglichen Zugriffszahlen. Google+ verfügt damit über einen sehr zugkräftigen USP.

Unternehmen können davon gleich in zweierlei Hinsicht profitieren:

  • Mit einem eigenen, aktuellen Google+ Profil ausgestattete Unternehmen erreichen über einen weiteren Kanal ihre Kunden – direkt vor Ort.
  •  Google+ Profile spielen bereits für die lokale Suche auf dem Desktop-PC eine Rolle und werden als Suchergebnis aufgeführt – da der Bildschirm der Datenbrille deutlich kleiner ausfällt, ist davon auszugehen, dass beim Ringen um eine gute Platzierung Google+ enorm an Bedeutung gewinnt.

Den Kauf des VR-Brillenherstellers Oculus Rift durch Facebook für 2 Mrd. US-Dollar in diesem Frühjahr interpretieren daher einige Marktexperten als Kampfansage an Google und einen Beleg dafür, dass das System Google Glass in Verbindung mit Google+ durch das derzeit beliebteste Social Network als Ernst zunehmende Bedrohung wahrgenommen wird.

Gaze Tracking System – Das Auge wird zur Metrik

Wie wir bereits in unserem Artikel zu Google Universal Analytics berichtet haben, ist Multi-Device-Tracking kein frommes Wunschdenken mehr – vorausgesetzt der Nutzer ist geräteübergreifend in sein Google-Konto eingeloggt und somit identifizierbar. Das Gaze Tracking System geht dabei noch einen Schritt weiter.

Google Glass wird dem Nutzerprofil innovative, neue Metriken hinzufügen: Mithilfe eines Sensors wird der Blick des Nutzers verfolgt und an einen Server übermittelt. Daten wie „Dauer der Betrachtung eines Objekts“ oder auch die Häufigkeit, mit der Objekte angesehen werden, ließen sich so messen.

Für Google bedeutet das: Mehr Daten, schärfere Nutzerprofile und damit eine Verbesserung der Qualität von Werbeeinblendungen. Ist Frau Mustermann an bestimmten Haarspülungen interessiert, kann das gemessen werden und entsprechende Anzeigen von Konkurrenten oder auch Anzeigen zum Up- und Cross-Selling lassen sich voraussichtlich ausspielen. Hier ergeben sich logischerweise auch weitere Möglichkeiten für die Erstellung erfolgreicherer Remarketing-Kampagnen. Ist die Qualität der Nutzerdaten schon jetzt ein starkes Argument für Suchmaschinen-Marketing mit dem Anbieter aus Mountain View.

Bislang hat Google noch nicht verkündet, inwiefern die Einreichung des Gaze Tracking-Patents und Google Glass in puncto Marketing zusammen hängen werden. Ist es aber wahrscheinlich, dass sich der Werbegigant diese Gelegenheit entgehen lässt?

Pflichtthema eigene App

Großes Potenzial bieten Apps auf dem neuen Gerät. Aktuell sind einige bereits verfügbar4. Google erlaubt derzeit zwar weder Werbung noch kostenpflichtige Apps, aber das sollte Marketer nicht davon abhalten, eigene Inhalte für Google Glass zu entwickeln. Neben herkömmlichen Apps, die das Teilen von Dateien erleichtern, erscheinen vor allem solche attraktiv, die zielführende den Kauf von unterwegs möglich machen:

Die Fashion-App „Glashion“ ist so ein Beispiel. Sie erlaubt es Nutzern Kleidung per Google Glass zu fotografieren und diese direkt online zum Kauf angeboten zu bekommen. Das heißt, wenn Frau Mustermann bei einer Passantin Schuhe oder Kleidung oder Accessoires entdeckt, die bei ihr einen „muss ich haben“ Effekt auslösen, ist nichts weiter nötig als genau das zu sagen. Per Sprachbefehl „Ok Glass, I want this“ werden verschiedene Suchergebnisse angezeigt und es ist möglich das Produkt direkt zu ordern. Sollte Frau Mustermann die Kleidung erst anprobieren wollen, kann sie sich mit der Glashion-App auch lokale Unternehmen anzeigen lassen, die das Produkt führen.

Dagegen wirkt Zalandos Barcode-Scanner beinahe wie ein Relikt aus der Vergangenheit.

Renaissance der Printwerbung?

google-glass_lindbaum-blog_printwerbung

Traditionelle Printwerbung befindet sich auf dem absteigenden Ast, durch die Datenbrille kann sie allerdings neuen Aufschwung bekommen. Bislang hatten Werbeplakate oder Printanzeigen in Zeitschriften erhebliche Nachteile gegenüber Online-Werbung – insbesondere aufgrund der schwer nachvollziehbaren Streuverluste. Das wird sich mit Google Glass ändern. Wenn das Gaze Tracking System kommt, lässt sich die Betrachtungsdauer einer Anzeige messen. Ist der Nutzer zudem in seinem Google-Profil eingeloggt, sind Rückschlüsse über das Verhalten nach Ansehen der Anzeige ebenso möglich.

Spekulationen ranken sich zudem um die Option, personifizierte Werbung an Plakatwänden anzuzeigen. Das könnte wie folgt aussehen: Blickt der Nutzer durch seine Google Glass auf eine Plakatwand, sieht er etwa keine generische Anzeige, sondern eine seinem Profil entsprechende Werbeanzeige mit individuell zugeschnittenem Inhalt. Das öffnet die Chance für komplett neue Werbeformen und kann als gewaltiger Fortschritt in der Werbebranche gelten.

Science Fiction wird real

Es wirkt wie Science Fiction, doch Google Glass wird das Online-Marketing nachhaltig verändern. Funktionen wie das Messen des bislang noch unbekannten Offline-Verhaltens von Kunden bringt eine Menge neuer Erkenntnisse mit sich, die den Marketing-Abteilungen neue Denkanstöße liefern werden. In Bezug auf das SEO wird ein weiterer Faktor hinzukommen, der die regionale Suche unabdingbar beeinflusst. Die Smart-Brille wird die digitale Welt wie nie zuvor mit mit der realen verbinden und es gilt sich frühzeitig mit den Funktionen und Messmöglichkeiten von Google Glass vertraut zu machen, denn wie heißt es so schön: Den letzten beißen die Hunde.

Radikal – zu radikal?

Bzgl. der Verbreitung von Google Glass wird sich in der Folge noch zeigen, inwiefern das Konzept von Google Glass vielleicht sogar zu radikal ist. Durch die Gesetzgebung in bestimmten Ländern wird Google Glass als Spionagetechnik angesehen und folgerichtig verboten werden. Sofern die rechtlichen Hürden allerdings zu meistern sind, wird Glass die nächste Marketingrevolution auslösen.

1 http://www.androidnext.de/news/google-glass-kommt-im-4-quartal-nach-europa-nachfolger-mit-besserer-leistung-erst-2015/

2 https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Grosses-Interesse-an-den-Funktionen-von-Smart-Glasses.html

3 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/245427/umfrage/regelmaessige-nutzung-sozialer-netzwerke-in-deutschland/

4 http://glass-apps.org/google-glass-application-list (Seite wurde entfernt)

Über den/die Autor/in:
Jens Martin Baumgartner