Corona-Pandemie: Digitalisierung als Chance für den stationären Einzelhandel

24.03.2020 von Simon Lindner

Die Corona-Pandemie stellt Deutschland vor die größte wirtschaftliche Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Besonders betroffen ist der stationäre Einzelhandel: Während Lebensmittelgeschäfte Rekord-Umsätze verzeichnen, bleiben Anbieter von nicht-lebenswichtigen Konsum-Gütern auf ihren Beständen sitzen. Schließungen sind vielerorts bereits Realität, und selbst wenn das Geschäft geöffnet ist, führen vernünftige Vorsichtsmaßnahmen sowie die vorherrschende Angst vor Infektionen zu leeren Gängen. Wer sich jetzt auf Digitalisierung fokussiert, kann seinen Kundenstamm über das Ende der Pandemie hinaus nachhaltig erweitern.

Der Status-Quo

In den letzten Wochen wurden immer mehr Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus getroffen. Bereits vor einer verordneten Schließung griffen viele Einzelhändler zu der vernünftigen Maßnahme, den Geschäftsbetrieb auszusetzen. Das führt dazu, dass ganze Innenstädte menschenleer sind.
Allein, wer auf das Ladengeschäft angewiesen ist, der generiert in dieser Zeit keinen Umsatz. Die Maßnahmen des Bundesministeriums für Wirtschaft laufen an, können jedoch nicht 100 % des Umsatzausfalls auffangen. Während Ausgangsbeschränkungen täglich verschärft und verlängert werden, bleiben stationäre Einzelhändler auf ihrem Lagerbestand sitzen.

Gleichzeitig ist die Chance, den Kunden über Online-Marketing zu erreichen, so groß wie nie: durch Kurzarbeit, Homeoffice-Regelungen oder Betriebsschließungen ist die Aufmerksamkeit vieler Menschen noch stärker als sonst auf Handy, Tablet und Co. gerichtet.

Der Einzelhandel hat nun die einmalige Chance, durch die kluge Verwendung vorhandener Personal-Kapazitäten „den Unterschied“ zu machen. Ausschlaggebend in dieser Situation ist weniger das Marketing-Budget als vielmehr der Kundennutzen, wenn örtliche Anbieter ihre Waren online präsentieren und dazu entweder eine schnelle Lieferung oder die Abholung beim nächsten Spaziergang ermöglichen.

Konsumverhalten während und nach SARS-CoVid-19

Wir gehen derzeit von folgenden Annahmen aus:

  1. Der Staat wird alles tun, um einen nachhaltigen Effekt der Corona-Krise auf die deutsche Wirtschaft zu verhindern. Maßnahmen werden daher darauf abzielen, das Einkommen der Gesellschaft möglichst stabil und möglichst viele Unternehmen handlungsfähig zu halten.
  2. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Wir erleben eine Verzögerung des Konsums, aber kein Aussetzen. Verfügbare Geldmittel werden aufgrund der staatlichen Maßnahmen nur schwach abnehmen.
  3. Spätestes nach drei Wochen Hausarrest wird so viel Langeweile aufkommen, dass „geshoppt“ wird. Wer dann im Kopf des Kunden ist, der wird Umsatzausfälle deutlich reduzieren können.
  4. Einige Waren möchte man gern in der Hand halten, bevor man sie kauft. Wer jetzt Begehrlichkeiten weckt und seinen (zukünftigen) Kunden echten Mehrwert bieten kann, der wird das nach dem Ende der Pandemie im Ladengeschäft merken.

Hier haben selbständige Kaufleute einen riesigen Vorteil gegenüber Filialisten: Sie können schnell und unkompliziert agieren!

Je nach Online-Affinität des Einzelhändlers können grundsätzlich zwei Wege begangen werden:

(1) Image-Driven Social Commerce
(2) Curated Commerce

Image-Driven Social Commerce

Die erste große Hürde, die Einzelhändler bei der Digitalisierung üblicherweise nehmen müssen, sind die Produktdaten. Bilder oder Beschreibungen sind selten vorhanden und müssen erstellt werden. Neben dem normalen Tagesgeschäft ist das eine Mammut-Aufgabe – nun ist die beste Zeit, dies umzusetzen: Personalkapazitäten, sonst im Verkauf oder in der Verräumung der Ware gebunden, sind ausreichend verfügbar.

Als ersten Schritt können Produkte mit Bildern, Name, Preis und Verfügbarkeit auf bekannten Plattformen präsentiert werden – zu nennen sind beispielsweise Facebook-Shops, eBay-Kleinanzeigen, Instagram, Etsy usw.

In Abhängigkeit vom Geschäft kann die Zahlung flexibel gestaltet werden: ein Paypal-Konto, zu dem ein Bezahl-Link erstellt werden kann, ist schnell eingerichtet; Vorkasse per Banküberweisung ist immer möglich; und auch den Verkauf wie gewohnt per Barzahlung abzuwickeln, wird weiterhin funktionieren.

Für die Übergabe der gekauften Artikel sind Lieferung und Abholung möglich:

  1. Lieferung: eine Lieferung kann, je nach Größe des Einzugsbereichs, klassisch mit der Post erfolgen. Wirklich glänzen können Einzelhändler, gerade in Kleinstädten, jedoch mit einer schnellen Lieferung, die – je nach Ware und Infrastruktur – mit dem Firmenwagen, dem Fahrrad-Kurier oder sogar dem Taxi durchgeführt werden kann. amazon.com hat bereits angekündigt, dass Bestellungen von nicht-essenziellen Artikeln benachteiligt versandt werden. Das ist eine große Chance für alle Einzelhändler, die kein Vollsortiment haben und sich daher auf zugeschnittene Kunden-Bedürfnisse konzentrieren können.
  2. Abholung: die Abholung im Ladengeschäft oder an einem vereinbarten Treffpunkt ist ebenfalls möglich. Hierbei kann auch die Barzahlung der bestellten Ware erfolgen.

Die Herausforderung ist lediglich die Sichtbarkeit der verfügbaren Produkte. Social Media und eBay-Kleinanzeigen sind optimal geeignet, da diese Sichtbarkeit dort allein durch Personalaufwand erreichbar ist.

Curated Commerce

„Curated Commerce“ ist die nächste Stufe des digitalisierten Verkaufs im Einzelhandel.
„Curated“ bedeutet in diesem Fall, dass die Mitarbeiter den Kunden weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen – allerdings mittels Videokonferenz.

Denkbar sind Mittel wie Facebook-Videochat, Facetime, Whatsapp-Anrufe, Skype usw.
Der Einzelhändler benötigt zur Umsetzung lediglich ein zeitgemäßes Smartphone und stabiles WLAN. Ruft ein Kunde an, so wird er vom Mitarbeiter anhand des Video-Telefonats durch den Laden geführt. Wie im „normalen“ Betrieb werden Produkte vorgestellt, Vor- und Nachteile erläutert, und der Kauf wird abgeschlossen – zu den identischen Zahlungs- und Lieferungsbedingungen, die oben bereits erläutert wurden.
Wenn das Smartphone an einer längeren Stange – „Selfie-Stick“ – befestigt ist, verbessert das zusätzlich die Übersicht und das Einkaufserlebnis des Kunden.

Ob diese Video-Führungen nun bei Anruf oder nach Termin-Vereinbarung gemacht werden, ist eine organisatorische Frage. Relevant sind hier beispielsweise die Verfügbarkeit der Mitarbeiter für die Annahme solcher Anrufe sowie die Anzahl der Anrufe und der vorhandenen Geräte.

Ausblick

Es ist klar, dass alle diese Maßnahmen Übung erfordern:
Die Aufbereitung von Produktdaten für das Internet unterliegt gewissen Regeln.
Online-Bestellungen und -Anfragen müssen gemanaged werden, umso mehr, wenn sie öffentlich über Social Media erfolgen.
Ein geführter Video-Einkauf ist sowohl für den Endkunden als auch für das Personal im Laden ein neues Konzept, sodass anfangs Fragen und Unsicherheit im Raum stehen werden.

Wer diese Maßnahmen jetzt umsetzt, schafft jedoch neue Standards für das Erleben der Kunden – und damit für ihre zukünftige Erwartungshaltung. Die Ausrede, es mangele an der Zeit, ist dem Einzelhandel nun ein für allemal verloren gegangen. Mittelfristig wird niemand, der im Handel tätig ist, am E-Commerce vorbeikommen.

Ein oft zitierter Satz lautet:

„Das Glück bevorzugt den, der vorbereitet ist.“

Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass dieses Zitat vom Biochemiker Louis Pasteur stammt, der zu Lebzeiten maßgebliche Arbeiten zur Entwicklung von Impfstoffen geleistet hat.

Staatliche Hilfen in dieser schwierigen Zeit erkaufen vor allem eines: die Möglichkeit, vorbereitet zu sein, wo man es bisher nicht war.

Über den/die Autor/in:
Simon Lindner